Nibbānam                                                   

 

Nun mag sich mancher Leser wundern, daß im bisherigen, wo doch die Erlösungslehre des Buddho dargestellt wurde, noch mit keinem Worte des Begriffes Nibbānam gedacht wurde, der doch, wie wohl jeder weiß, das Endziel seiner Lehre bildet:

„Nibbānam ist der Kern des heiligen Lebens, Bruder Visākho, Nibbānam ist Zweck und Ziel.“ (Majjh. 44)

Doch diese Verwunderung wäre unbegründet. Denn wir haben, indem wir den Zustand des gänzlich Erlösten nach dem Tode und schon bei Lebzeiten behandelten, überhaupt von nichts anderem gesprochen als von Nibbānam. Nibbānam und ewige Erlösung sind nämlich synonyme Begriffe, die auch insofern sich decken, als sie keinerlei positiven, sondern nur einen rein negativen Inhalt haben. Wie nämlich unter der Erlösung einfach die Befreiung gedacht wird, ohne daß dabei irgendwie zum Ausdruck käme, was denn nun der Befreite nach seiner Befreiung eigentlich ist, so bedeutet Nibbānam wörtlich einfach das Erlöschen; und wie wir die Erlösung als eine Befreiung von dem in uns hausenden Durste nach den fünf Haftensgruppen als den leidvollen Bestandteilen unserer Persönlichkeit und eben deshalb als die schließliche – im Tode vor sich gehende – völlige Befreiung auch von diesen Haftensgruppen selbst und damit von der ganzen Welt erkannt haben, so besagt auch Nibbānam nichts anderes als das Erlöschen dieses Durstes und damit letzten Endes das Erlöschen unserer Persönlichkeit und der Welt im Tode des Heiligen:

„Nibbānam, Nibbānam, so sagt man, Freund Sāriputto; was ist nun Nibbānam, Freund?“ – „Was da, Freund, das Verschwinden der Gier, das Verschwinden des Hasses, das Verschwinden der Verblendung ist, das nennt man Nibānam“

„Nach der Ausmerzung [Vernichtung] des Durstes spricht man von Nibbānam.“ (Sam. 1, 64)

So erweist sich denn Nibbānam als der ewige Friede, „die ewige Stille“, dieewige Ruhe“ (Majjh. 122),in deren Bereich der Erlöste schon bei Lebzeiten eintritt, die er mit seinem Tode restlos verwirklicht und in der er, „was wahr und echt ist“ (Majjh. 140), für immer in Besitz genommen hat.

„Gleichwie etwa, Māgandiyo, wenn da ein Blindgeborner wäre: der sähe keine schwarzen und keine weißen Gegenstände, keine blauen und keine gelben, keine roten und keine grünen, er sähe nicht, was gleich und was ungleich ist, sähe keine Sterne und nicht Mond und nicht Sonne. Und er hörte das Wort eines Sehenden: ‚Schicklich, fürwahr, lieber Mann, ist ein weißes Kleid, gar fein, ohne Flecken und sauber.‘ Und er suchte sich ein solches zu verschaffen.

Und es täuschte ihn ein anderer Mann mit einem ölrußgeschwärzten Schinderhemde: ‚Da hast du, lieber Mann, ein weißes Kleid, gar fein, ohne Flecken und sauber.‘ Und er nähme es entgegen und bekleidete sich damit, und damit bekleidet ließe er zufrieden fröhliche Rede ergehen: ‚Schicklich, fürwahr, ist das weiße Kleid, gar fein, ohne Flecken und sauber.‘ Und seine Freunde und Genossen, Verwandte und Vettern bestellten ihm einen heilkundigen Arzt, und dieser gäbe ihm ein Heilmittel, ließe ihn nach oben und unten sich ausleeren, Salbe, Balsam und Nießpulver gebrauchen. Und er unterzöge sich dieser Behandlung und die Augen öffneten sich, läuterten sich. Und wie er zu sehen begänne, verginge ihm die Lust und die Freude an dem ölrußgeschwärzten Schinderhemd und er hielte jenen Mann für seinen Feind und dächte wohl gar daran, dessen Tod als Sühne zu heischen: ‚Lange Zeit hindurch, wahrlich, bin ich von jenem Manne betrogen, getäuscht, hintergangen worden mit dem ölrußgeschwärzten Schinderhemd.‘

Ebenso nun auch, Māgandiyo, möchte ich dir wohl die Lehre darlegen, was da Gesundheit, was Nibbānam ist. Und du möchtest die Gesundheit wahrnehmen, Nibbānam sehen, und es würde dir, wie du zu sehen begännst, die Lust und die Freude an den fünf Gruppen des Anhaftens vergehen und du würdest denken: ‚Lange Zeit hindurch, wahrlich, bin ich von diesem Geiste betrogen, getäuscht, hintergangen worden. Und so war ich dem Körper eben anhänglich angehangen, der Empfindung anhänglich angehangen, der Wahrnehmung anhänglich angehangen, den Gemütsregungen anhänglich angehangen, dem Erkennen eben anhänglich angehangen‘.“ (Majjh. 75)

 

(G.Grimm, Die Lehre des Buddho, S. 259 ff.)