Das Nichtwissen

 

Überblick über die Leidensverkettung

 

In Abhängigkeit vom Nichtwissen entstehen die „Hervorbringungen“. Damit sind wir zum letzten Glied der Formel vom Kausalnexus auch in ihrer erweiterten Form gekommen. Schon aus dieser Stellung des Nichtwissens an der obersten Spitze der ursächlichen Verkettung dürfen wir auf seine grundlegende Wichtigkeit schließen; und dem ist in der Tat so.

Zunächst ist klar, daß der Buddho mit dem Satze besagen will, daß die Hervorbringungen der Ausfluß der Unkenntnis von etwas sind, bei dessen Kenntnis sie nicht erfolgen würden und damit überhaupt nichts mehr für uns werden würde. Was ist nun das für ein Etwas, in Ansehung dessen diese Unkenntnis, dieses Nichtwissen besteht? Der Buddho sagt es uns in den Worten:

„Das Leiden, Mönche, nicht kennen, die Leidensentstehung nicht kennen, die Leidensvernichtung nicht kennen, den zur Leidensvernichtung führenden Pfad nicht kennen: das nennt man, Mönche, Nichtwissen.“ (Majjh. 9)

Dieses Nichtwissen ist mithin die Basis der ganzen Leidensverkettung, es ist die tiefe Nacht, in welche eingehüllt die Wesen seit anfangslosen Zeiten den Sechssinnenapparat gebrauchen mit der Folge, daß immer wieder neuer Durst nach fernerer solcher Betätigung sich erhebt, welcher Durst dann seinerseits beim Zerfalle des Sechssinnenapparates im jeweiligen Tode die stete Neubildung eines solchen bewirkt:

„Nichtwissen ist die tiefe Nacht, darin man hier so lange kreist.“ (Su. V, 730)

Mit der Beseitigung des Nichtwissens wird er [der Durst] und mit ihm alle Kausalität überhaupt für immer entwurzelt …

Wie die Sankhārā die Art der Bedingtheit des Bewußtseins durch den körperlichen Organismus aufklärten, so gibt uns das Nichtwissen den Schlüssel zum Verständnis der Tatsache, wie wir überhaupt dazukommen, den infolge unseres früheren Durstes in einem Mutterleibe ergriffenen Keim zur Sechssinnenmaschine zu gestalten und von dieser wiederum Gebrauch zu machen.

 

Nunmehr brauchen wir nur noch die Formel [Kausalitätskette] in ihrer Gesamtheit zu überblicken:

„Wenn dieses ist, existiert jenes; wenn dieses entsteht, tritt jenes in die Erscheinung … Das will sagen:

In Abhängigkeit vom Nichtwissen (avijjā) entstehen die (den im Mutterleibe ergriffenen Keim zu einem Erkenntnisapparat gestaltenden) Hervorbringungen (Sankhārā) –,
in Abhängigkeit von den Hervorbringungen entsteht das Bewußtsein (viññānam) –,
in Abhängigkeit von dem Bewußtsein entsteht der körperliche Organismus (nāma-rūpam) –,
in Abhängigkeit vom körperlichen Organismus entstehen die sechs Sinnesorgane (salāyatanam) –,
in Abhängigkeit von den sechs Sinnesorganen entsteht die Berührung (phasso) –,
in Abhängigkeit von der Berührung entsteht die Empfindung (vedanā) –,
in Abhängigkeit von der Empfindung entsteht der Durst (tanhā) –,
in Abhängigkeit von dem Durst entsteht das Haften (upādānam) –,
in Abhängigkeit von dem Haften entsteht das Werden (bhavo) –,
in Abhängigkeit von dem Werden entsteht die Geburt (jāti) –,
in Abhängigkeit von der Geburt entstehen Alter und Tod, Kummer, Jammer, Schmerz, Gram und Verzweiflung.
Also kommt die Entstehung dieser ganzen Leidensverkettung zustande.“ 

(nach Ud. 1, 3)

 

  (G.Grimm, Die Lehre des Buddho, S.220 ff.)

 

Kette der Abhängigkeiten klick auch hier: Paticcasamuppādo

 



Rakkhita

Jedwedes Begehren habe ich vernichtet, jeden Hass entwurzelt, das Nichtwissen habe ich ausgemerzt; so bin ich kühl geworden, erloschen.

                                                                                    (Therag. 79)