Der Gang in die Heimlosigkeit

 

Je höher etwas ist, umso weniger wird es gemeinhin verstanden, weil es ja die Fassungskraft des Durchschnittsmenschen übersteigt; desto mehr Mißdeutungen ist es eben deshalb ausgesetzt. Ja, weil der Grund nicht behoben werden kann, ist es auch ganz unmöglich, diesen Mißdeutungen mit Erfolg zu begegnen. Deshalb war es denn auch von jeher das Los der höchsten Wahrheiten, nicht bloß nicht verstanden, sondern, soweit sie in ihrer praktischen Betätigung das Auge des Alltagsmenschen auf sich ziehen, ins Lächerliche gezogen zu werden. So ist es denn nicht weiter verwunderlich, daß auch die Lehre des Buddho als das Höchste, was der Welt je mitgeteilt wurde, vielfach diesem Schicksal, insbesondere auch bei uns im Abendlande, verfiel, und dies in ganz besonderem Maße insoweit, als sie in ihrer vollen praktischen Betätigung auf das Mönchtum hinausläuft, eine Institution, gegen die sich der normale Weltmensch schon rein instinktmäßig aufbäumt, weil sie, wenn sie der Wahrheit entspräche, die denkbar schärfste Verurteilung seines eigenen in den Sinnenfreuden aufgehenden Lebenswandels darstellen würde.

Uns aber wird es schon aus dem, was wir bisher über den vom Buddho gelehrten Heilsweg gehört haben, klar geworden sein, daß er ganz in der Welt unmöglich begangen werden kann. Verlangt er doch nicht mehr und nicht weniger als die Pflege tiefster Beschaulichkeit und unaufhörlicher Besonnenheit gegenüber jedem einzelnen, auch dem unbedeutendsten Akt der Sinnestätigkeit, um jede Regung des Durstes nach der Welt sofort als solche und in ihrer Verderblichkeit zu erkennen und so keinerlei Anhaften mehr aufsteigen zu lassen.

Eben in Konsequenz dieses seines Standpunktes hat der Buddho denn auch den Sangho gegründet als die Gemeinschaft aller derer, die aus dem Hause in die Heimlosigkeit gewandert sind, um unter seiner Führung als Mönche dem großen Ziel des völligen Heraustrittes aus der Welt entgegenzustreben. Was man unter dem Sangho zu verstehen hat, zu dem man als dem Dritten Juwel seine Zuflucht nehmen muß, ist ausführlich dargelegt in dem Kapitel „Die Zufluchtnahme zu den Drei Juwelen“.

Wenn der Buddho recht hat, daß die ewige Bestimmung jedes Wesens darin liege, über die Welt hinauszuwachsen und schließlich ganz aus ihr herauszutreten, dann muß aus der Art dieser Bestimmung auch das Kriterium für die Bewertung jeder Handlung in moralischer Hinsicht entnommen werden, indem gut oder sittlich im höchsten Sinne nur sein kann, was der Erreichung dieses Endzieles dienlich ist, böse oder unsittlich aber alles ist, was sie hemmt oder direkt unmöglich macht. Legt man dieses zweifellos richtige Prinzip zugrunde, dann handelt keinesfalls derjenige unsittlich, der um seines ewigen Heiles willen die Welt und damit auch Weib und Kind verläßt.

Weil somit der Gang in die Heimlosigkeit das Sittliche, jedes Hemmen desselben aber eine Unsittlichkeit ist, darum kann sich ihm gegenüber auch niemand auf vertragliche Rechte als Hemmnisse berufen.

Damit ist aber nicht gesagt, daß der Anspruch auf den Gang in die Heimlosigkeit ein unbedingter sei; er findet vielmehr eben in den sittlichen Geboten, aus denen er entspringt, auch seine Schranke: Wer sein eigenes ewiges Wohl wirken will, darf auch das wahre Wohl der anderen nicht gefährden.

Der Sangho ist bloß eine Anstalt, um von vornherein alle jene äußeren Hindernisse wegzuräumen, die gemeinhin in der Welt die genaue und ständige Einhaltung des Hohen achtfältigen Pfades unmöglich machen. Je nachdem man es versteht, diesen Hindernissen auch innerhalb der Welt möglichst auszuweichen und sie so zu beschränken, mag auch hier ein erfolgreiches Vorwärtsschreiten stattfinden; …

 (G.Grimm, Die Lehre des Buddho, S. 304 ff.)