Das Karma-Gesetz

 

Ist so das Problem der Wiedergeburt in der denkbar einfachsten Weise gelöst, so ist diese Lösung doch noch keine erschöpfende. Denn noch bleibt die – praktisch so ungeheuer wichtige – Frage zu beantworten: Woher kommt es, daß das eine Wesen bei seinem Verscheiden an dem Ei in einem Menschenweibe, das andere an einem solchen in einem Tierleibe, wieder ein anderes in einer Hölle oder in einer Götterwelt haftet? Oder kürzer: Wodurch wird die Verschiedenheit in der Richtung des Haftens bei dem Tode eines Wesens bestimmt? Die Antwort ist: Durch denselben Faktor, der die Ursache des An­haftens überhaupt darstellt, den Durst, die tanhā. Die Art dieses Durstes, oder, anders ausgedrückt, die Grundrichtung, welche das Wollen in einem sterbenden Wesen inne hat, bestimmt mit dem Haften selbst auch seine Richtung.

So ist es aber in allen Fällen. Stets und ausnahmslos führt das Streben nach neuem Werden, d. h. also sich im Dasein zu behaupten, dann, wenn es wegen des Zerfalles des bisher innegehabten Körpers einen neuen Keim zu suchen und zu ergreifen gezwungen ist, zu einer solchen Anhaftung, welche der Richtung, die es bereits im Leben genommen hatte, gemäß ist, gleichwie der geworfene Stein die Richtung, die ihm erteilt worden ist, beibehält: …

Um zu wissen, zu welcher Anhaftung uns unser Wille dereinst führen mag, müssen wir also in die Tiefen unseres Trieblebens hinabsteigen, wie es sich offenbart, wenn der dominierende Einfluß der Vernunft aufgehoben ist, also im Affekte oder noch mehr im Rauschzustande und im Traum. Es ist mithin nicht entscheidend, ob einer bei vernünftiger Überlegung nicht tötet, nicht stiehlt, nicht unkeusch, nicht lieblos ist, sondern ob er unfähig zu alledem auch in der höchsten Leidenschaft, ja selbst in seinen Träumen ist.

Grundbedingung der Gewißheit, daß ich nach meinem Tode an keinem Keim in niedriger, leidvoller Welt haften werde, ist also, daß ich mich, spätestens im Augenblick meines Todes, von allen niedrigen Trieben definitiv frei weiß.

In dem Maße, als dies zutrifft, als einer also Vertrauen, Sittenreinheit, Durchdringung der Lehre, Loslösung, Weisheit erworben hat, damit zugleich edler und reiner und zum Haften in höheren, reineren Sphären geeigneter geworden ist, hat er es dann auch in der Hand, seine Wiedergeburt in ganz bestimmten Kreisen oder Sphären herbeizuführen, …

„Mein Wirken ist mein Besitz, mein Wirken ist mein Erbteil, mein Wirken der Mutterleib, der mich gebiert, mein Wirken ist das Geschlecht, dem ich verwandt bin, mein Wirken ist meine Zuflucht.“ (Ang. 5, 57)

  (G.Grimm, Die Lehre des Buddho, S.175 ff.)