Die beschaulichen Schauungen     

„Wer diese Rede nicht versteht, der bekümmere sein Herz nicht damit. Denn solange der Mensch nicht gleich ist dieser Wahrheit, alsolange wird er sie nicht verstehen.“  Meister Eckhart

Das Höhere Wissen

Die Sinnenfreuden sind die durch die Objekte unserer fünf Sinne in uns ausgelösten Freuden. Der Buddho nennt sie Kāmā. Die Objekte dieser Sinne bilden zugleich den Inbegriff der Welt:

„Als die Welt, ihr Brahmanen, gelten im Orden des Heiligen die fünferlei Objekte der Sinnenlust (kāmagunā). Welche fünf? Die Gestalten, die Töne, die Düfte, die Säfte, die Tastobjekte“ (Ang. 9, 38).

Das wahre Glück thront jenseits der Sinnenfreuden und damit jenseits der Welt, dort, wo dem Weltmenschen der große Abgrund des Nichts entgegengähnt. Als das Kriterium, das auszeichnende Merkmal dieses wahren Glücks gibt der Buddho den FRIEDEN an.

 

Den direkten Aufstieg zum Gipfel des wahren Glücks und die Art, wie man von einer Stufe auf die andere emporgelangen kann, schildert das folgende Suttam des Ang. 9, 41:

„Der Hausvater Tapusso kam zum ehrwürdigen Anando, begrüßte ihn ehrerbietig und setzte sich seitwärts nieder. Seitwärts sitzend sprach er also zum ehrwürdigen Anando: ‚Wir Hausleute, ehrwürdiger Anando, genießen die Sinnenfreuden, sind an ihnen entzückt, schwelgen in ihnen. Der Zustand jenseits der Sinnenfreuden scheint uns gleichsam ein Abgrund. Doch habe ich gehört, daß in dieser Lehre und Ordnung schon bei ganz jungen Mönchen der Geist in dem Gedanken an den Zustand jenseits der Sinnenfreuden sich erhebt, beruhigt, darin feststeht und sich loslöst (von den Sinnenfreuden), da sie erkennen: ‚Das ist friedvoll‘ (etam santam). Der Zustand jenseits der Sinnenfreuden ist es, Ehrwürdiger, worin sich in dieser Lehre und Ordnung die Mönche von der großen Menge unterscheiden.‘ – ‚So ist es, Hausvater. Wollen wir den Erhabenen aufsuchen, um seine Erklärung über diese Materie zu hören.‘ Und der ehrwürdige Anando begab sich in Gesellschaft des Hausvaters Tapusso zum Erhabenen und berichtete ihm die Äußerung des Hausvaters Tapusso. Der Erhabene sprach:

‚So ist es, Anando, so ist es, Anando. Auch ich hegte schon vor meiner vollen Erwachung, als ich noch kein voll Erwachter war, sondern der Erwachung erst nachhing, den Gedanken: ‚Etwas Gutes ist der Zustand jenseits der Sinnenfreuden, etwas Gutes ist die Abgeschiedenheit.‘ Aber mein Geist erhob sich nicht bei dem Gedanken an den Zustand jenseits der Sinnenfreuden, beruhigte sich nicht dabei, stand darin nicht fest, löste sich nicht los (von den Sinnenfreuden) und so erkannte ich nicht: ‚Das ist friedvoll.‘ Da kam mir, Anando, der Gedanke: Wenn ich das Elend der Sinnenfreuden durchschaue, mir darüber völlig klar werde und wenn ich zum Glücke des Zustandes jenseits der Sinnenfreuden vordringe, es auskoste, dann mag es wohl sein, daß sich mein Geist hinfort beim Gedanken an den Zustand jenseits der Sinnenfreuden erhebt, beruhigt, darin feststeht, sich loslöst (von den Sinnenfreuden); erfahre ich dann doch: ‚Das ist friedvoll.‘ Und ich durchschaute, Anando, mit der Zeit das Elend der Sinnenfreuden, wurde mir darüber völlig klar und drang zum Glück des Zustandes jenseits der Sinnenfreuden vor, kostete es aus. Und so gewann ich, Anando, seit dieser Zeit – (nach Belieben, ohne Mühe und Anstrengung) – losgelöst von den durch die Objekte der Sinne ausgelösten Freuden, diesen unheilschwangeren Dingen, die im energischen Denken und Überlegen – (der vier Grundlagen der Besonnenheit) – bestehende erste beschauliche Schauung mit all dem von Freude durchtränkten Wohlbefinden, wie es aus der Loslösung von den Freuden, die durch die Objekte der Sinne ausgelöst werden, entsteht. Und wenn, Anando, während ich in diesem Zustande verweilte, Wahrnehmungen und Vorstellungen über mich kamen, die mit sinnlicher Freude verbunden waren, so war mir das schmerzhaft. Gleichwie, Anando, einem Glücklichen, den Leid überfällt, das schmerzhaft ist.

Da kam mir, Anando, der Gedanke: Möchte ich doch nunmehr, nach dem Zurruhekommen des Denkens und Überlegens die von allen Gedanken und Überlegungen freie Einheit des Geistes, die zweite beschauliche Schauung, erreichen, mit all dem von Freude durchtränkten Wohlbefinden, wie es aus (dieser) Konzentration erwächst. …


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… Als ich aber, Anando, diese neun aufeinander folgenden Warten in vorwärts- und rückwärtsschreitender Richtung erreicht und mich wieder aus ihnen erhoben hatte, da kannte ich als ein vollkommen Erwachter die unvergleichliche höchste Erwachung; und die anschauliche Erkenntnis stellte sich ein: ‚Unerschütterlich ist die Erlösung meines Geistes; das ist meine letzte Geburt, von nun ab gibt es kein neues Werden mehr.‘“ –

 

Freilich, wie das im Einzelnen vor sich geht, ist für die normale Erkenntnis nicht einzusehen, eben weil ihr dieses Gebiet verschlossen bleibt, weshalb es auch völlig wertlos ist, sich hierüber in Vermutungen und Konstruktionen zu ergehen. Der Buddho selbst warnt davor, indem er ausdrücklich „den Machtbereich der Schauungen – jhāna-visayo – als ein weiteres der vier unfaßbaren Dinge erklärt, über die man nicht nachzudenken hat, es sei denn, daß man, wenn man darüber nachdenkt, dem Wahn und der Verstörung anheimfalle.“ (Ang. 4, 77).

Er lädt bloß, wie immer, so auch hier dazu ein, die Probe aufs Exempel zu machen, indem er es jedermann, der das nicht will, überläßt, davon zu halten, was ihm gut dünkt. Ja, mit dem bloßen Glauben an die Worte des Meisters muß sich hier ausnahmsweise sogar mancher begnügen, der an sich den Willen auch zur Übung und schließlichen Herbeiführung dieses „Gipfelpunktes der Konzentration“ (Ang. 4, 75) oder dieser „in Konzentration ausgereiften Weisheit“ (Dīgh. 16) hätte.

Denn nicht nur, daß 1. nicht jedem alle Schauungen, insbesondere nicht die höheren, erreichbar sind, kann es sein, daß 2. einer trotz aller Anstrengungen nicht einmal die erste gewinnt, indem das Schwinden der fünf Hemmungen keineswegs immer zur völligen Einstellung der Tätigkeiten der fünf äußeren Sinne zu führen braucht, sondern auch bloß eine derartige Beruhigung derselben im Gefolge haben kann, daß sie dem klaren, anschaulichen Denken nicht mehr hinderlich sind, insbesondere auch nicht mehr in Form der aus ihnen stammenden sinnlichen Gedanken.

Indessen ist das Denken auch im letzteren Falle [d.h. bei Beibehalten einer äußerst reduzierten, eingeschränkten Funktion der äußeren Sinne] völlig geläutert [von den Einflüssen des dürstenden Willens], so daß es auch in diesem Zustande den vollkommenen Anattā-Anblick und damit die definitive Erlösung herbeizuführen geeignet ist.

Fragt man nach dem Grunde, warum nicht jeder die Schauungen zu gewinnen vermag, so lautet die Antwort des Buddho: „Das kommt von der Verschiedenheit der Anlagen her.“ (Majjh. 64).

 

 (G.Grimm, Die Lehre des Buddho, S. 354 ff.)