Der Vorgang der Wiedergeburt

Das Werden, das Anhaften, der Durst

Unser wahres Wesen liegt jenseits unserer Persönlichkeit und ihrer Bestandteile, ja jenseits der Welt, im scheinbaren Nichts. An ihm lassen wir es uns aber nicht genügen, wir haben Verlangen, Durst nach etwas Weiterem, unserem tiefsten Wesen durchaus Fremdem, nämlich nach der Welt, die da ist eine Welt der Gestalten, der Töne, der Düfte, der Säfte und des Tastbaren; und weil wir Verlangen, Durst nach ihr haben, deshalb ergreifen wir jederzeit mit Gier die Gelegenheit, mit ihr in Verbindung zu kommen.

Damit ist aber die Frage nach dem „Kausalnexus zwischen meinem früheren Tode und der Fruchtbarkeit eines fremden Ehebettes“[1] gelöst, die Brücke zwischen dem frischen Dasein eines neugeborenen Wesens und dem eines anderen untergegangenen auf gezeigt:

„Wenn Drei sich vereinen, Mönche, bildet sich eine Leibesfrucht. Da sind Vater und Mutter vereint, aber die Mutter hat nicht ihre Zeit, auch das Jenseitswesen ist nicht bereit, und so bildet sich keine Leibesfrucht. Da sind Vater und Mutter vereint und die Mutter hat ihre Zeit, aber das Jenseitswesen ist nicht bereit, und so bildet sich keine Leibesfrucht. Da sind Vater und Mutter vereint und die Mutter hat ihre Zeit und das Jenseitswesen ist bereit, so bildet sich durch der Drei Vereinigung eine Leibesfrucht.“[2]

Dabei sieht jeder in Hinsicht darauf, daß der Buddho ja die Wiederverkörperung lehrt, sofort, daß das Wort Jenseitswesen nur ein metaphorischer Ausdruck für den dürstenden Willen nach Werden eines verscheidenden Wesens und damit auch, nachdem sich dieses Wesen ja, soweit es sich als von und in dieser Welt wähnt, mit diesem dürstenden Willen völlig identifiziert, für dieses Wesen selbst ist. Hiermit entschleiern sich dann aber Tod und Empfängnis als die beiden Seiten eines Vorganges: Jede Empfängnis ist nur möglich durch den gleichzeitigen Tod eines Wesens in einem der fünf Reiche des Samsāro, indem, was hier verschwindet, dort wieder erscheint. Den Schauern der Wollust im Momente der Begattung steht also die Qual des Todes des empfangenen Wesens in seiner bisherigen Gestalt gegenüber.



[1] Schopenhauer, W. a. W. u. V. II, 575 (592).

[2] Majjh. 38. – Jenseitswesen = gandhabbo.



 (G.Grimm, Die Lehre des Buddho, S.173 ff.)