Überblick

 

Auch wir haben diese Lehre nunmehr erschöpfend kennen gelernt. Überblicken wir sie noch einmal im ganzen, so läßt sie sich kurz also zusammenfassen:

Wir sind krank: Wir leiden an der Krankheit des Wollens und damit des Lebens.[1]

Das Symptom dieser Krankheit ist die Wunde der sechs Sinne,[2] das heißt unser mit den sechs Sinnen behafteter Körper.

Die Krankheit ist chronisch: Wir leiden schon seit anfangslosen Zeiten an ihr. Je nachdem sie mildere Formen annimmt oder heftiger wird, haften wir in Götterwelten oder im Menschenreich einerseits, in Höllen- oder Tierreichen andererseits, und stellt sich uns dementsprechend die Wunde der sechs Sinne in Form „der himmlischen fünferlei Sinnenfreuden“[3] oder eines menschlichen oder tierischen Organismus oder aber eines verstoßenen Wesens dar, all das in endloser Aufeinanderfolge.

Der Arzt, der uns von dieser Krankheit heilen kann, ist der Buddho, die Medizin, mittels deren er heilt, ist die in der Meditation gewonnene anschauliche Erkenntnis. Entgegen der bloßen Symptombehandlung durch den Normalmenschen – er beruhigt die jeweils sich meldenden Regungen des Begehrens bloß vorübergehend, indem er ihnen nachgibt, mit der Folge, daß die Krankheit sich noch weiter verschlimmert[4] – wird diese letztere vom Buddho auf dem Wege des erkennenden Schauens an der Wurzel behoben:

Wir werden völlig willenlos. Mit der Krankheit verschwindet aber auch ihr Symptom, die Wunde der sechs Sinne. Zunächst zwar bleibt sie noch als Narbe bestehen: Auch der Heilige ist bis zu seinem Tode noch an seinen Körper gebunden. Mit diesem Tode aber wird der Körper gänzlich und für immer abgeworfen: Die Wunde schließt sich ganz; wir sind für immer genesen, sind frei, absolut frei, nämlich frei von allem Wollen, frei von unserer langen Krankheit, frei vom Leben.

Diese einzige Veränderung wird also die Erlösung von der Welt in uns hervorbringen. Wir selbst werden völlig unangetastet bleiben. Es soll nur dieses ewige unheilvolle Wollen, diese stete quälende Krankheit an uns behoben und damit endlich einmal Frieden in uns werden, auf daß wir mit dem Meister sagen können:

„Einstmals bestand Begehren, und das war von Übel; das besteht jetzt nicht mehr, und so ist’s gut. Einstmals bestand Haß, und das war von Übel; das besteht jetzt nicht mehr, und so ist’s gut. Einstmals bestand Verblendung, und das war von Übel; das besteht jetzt nicht mehr, und so ist’s gut.“ (Ang. 3, 66)

Ob wir das einmal sagen können, wird vor allem davon abhängen, ob die Lehre des Buddho so, wie wir sie nunmehr kennen gelernt haben, zunächst den Willen in uns ausgelöst hat, es einmal sagen zu können. Alles weitere ist dann wiederum – selbstverständlich.



[1] Sabbam dukkham chandamūlakam chandanidānam: chando hi mūlam dukkhassa: alles Leiden wurzelt im Willen, stammt aus dem Willen: denn der Wille ist die Wurzel des Leidens“ (Sam. 42, 11).

[2] Cfr. M. N., 105. Suttam: „Die Wunde, das ist eine Bezeichnung der sechs Sinne“; ferner M. N., 33.Suttam: „Und wie verbindet ein Mönch Wunden? Wenn da ein Mönch mit dem Auge eine Gestalt erblickt, mit dem Ohre einen Ton gehört hat (usw.), so haftet er weder am Ganzen noch an den Einzelheiten. Also verbindet ein Mönch Wunden.“

[3] Majjh. 75.

[4] Gleichwie die Wunden eines Aussätzigen durch das Abreiben, mit dem er den Juckreiz zu beseitigen sucht, nur noch schlimmer werden (cfr. das gewaltige 75. Suttam des Majjh.).

 

(G.Grimm, Die Lehre des Buddho, S. 379 ff.)