Die Konzentration Die Meditation  

 

Das Ziel des Buddhaweges ist die Vernichtung des in uns hausenden Durstes nach der Welt auf dem Wege der Erkenntnis, der Erkenntnis nämlich, daß jedes nur mögliche Objekt, auf das sich dieser Durst richten kann, letzten Endes Leiden, ja nur Leiden bringt. Diese allumfassende Erkenntnis kann aber natürlich nicht durch die Betrachtung jedes in unser Bewußtsein eintretenden Einzeldinges erreicht werden, da wir auf diesem Wege bei der Unzahl der Einzeldinge ja in aller Ewigkeit nicht fertig würden.

Deshalb hat der Buddho das gesamte unendliche Betrachtungsmaterial in fünf ohne weiteres durchsichtige Gruppen zusammengefaßt, nämlich in die Komponenten unserer Persönlichkeit, also die fünf Haftensgruppen. Durch sie stehen wir ja auch bloß mit der Welt in Verbindung. Sie bilden den Mikrokosmos, in welchem wir den Makrokosmos, das Weltall, erleben. Aus diesem Grunde setzt also der Weg des Buddho die genaueste und gründlichste Kenntnis des Persönlich-keitsgetriebes … voraus.

Erst dann kann man überhaupt das Grundschema des Buddho für die zu erkennenden Objekte verstehen: „So ist die körperliche Form, so entsteht sie, so verschwindet sie; so ist die Empfindung, so entsteht sie, so verschwindet sie; so ist die Wahrnehmung, so entsteht sie, so verschwindet sie; so sind die Gemütstätigkeiten, so entstehen sie, so verschwinden sie; so ist das Erkennen, so entsteht es, so verschwindet es.“ Auch in dieser Zusammen-fassung des sonst unerschöpflichen Betrachtungsmaterials zeigt sich die einzigartige Größe des Buddho.

Ebenso wichtig ist der folgende Umstand: Durch die Erkenntnis, daß die fünf Haftensgruppen unsere „Todfeinde“[1] sind, soll unser Durst nach ihnen vernichtet werden. Diesem Durste aber haben die Wesen seit unzähligen Weltzeitaltern gedient, ihn so genährt und ihn dadurch zum übermächtigen Despoten gemacht, dessen willenlose Sklaven sie geworden sind.

Nur der Buddho konnte die Möglichkeit dieser Bekämpfung und schließlichen Vernichtung des Durstes feststellen: Beides ist möglich durch die Erkenntnis, daß alles Unheil für die Lebewesen von den fünf Haftensgruppen kommt, auf die unser Durst unablässig gerichtet ist.

Wirkliches, jeden Zweifel unmöglich machendes Wissen aber kann nur die Frucht anschaulicher Erkenntnis oder, wie der Buddho sagt, „des erkennenden Schauens“ (ñāṇadassanaṃ) sein: Nur was man leibhaftig klar und scharf sieht, weiß man in Wahrheit.

Solches Wissen können wir auch in der hier fraglichen Richtung gewinnen. Wir müssen unseren Erkenntnisapparat nur beherrschen lernen.

Freilich stellt sich der anschaulichen Erkenntnis, daß die fünf Haftensgruppen unsere Todfeinde sind, ein ungeheurer Gegner gegenüber, nämlich eben der durch das erkennende Schauen zu vernichtende Durst nach ihnen: Sobald man auch nur einen Versuch zu solcher Erkenntnistätigkeit macht, erheben sich in uns in allen Variationen seine gegenteiligen Einflüsterungen und zischen uns wie aufgescheuchte, sich bedroht fühlende Schlangen an. Deshalb müssen vor allem die groben, unsittlichen Äußerungen dieses Durstes durch die Pflege der Sittenreinheit erstickt werden, …

„In dem Nichtsittenreinen, Mönche, ist die rechte Konzentration ohne ihre Basis. Fehlt die rechte Konzentration, so ist das der Wirklichkeit gemäße erkennende Schauen ohne seine Basis. Fehlt das der Wirklichkeit gemäße erkennende Schauen, so ist das Zurückschrecken des Grausens ohne seine Basis. Fehlt das Zurückschrecken des Grausens, so ist das erkennende Schauen, daß man die Erlösung erreicht hat, ohne seine Basis“ (Ang. 5, 24 u. 6, 50).

Mithin kann man das erkennende Schauen mit Erfolg überhaupt nur in dem Maße pflegen, als man bereits ein sittenreiner Mensch ist … Sittenreinheit und die Beseitigung der fünf Hemmungen sind also die beiden unerläßlichen Voraussetzungen für das erkennende Schauen.

So ist das erkennende Schauen in Form der völligen Durchdringung des Wesens unserer Körperlichkeit (Persönlichkeit), wie sie in Wirklichkeit ist, besonders des eigentlichen Verhältnisses, in welchem wir zu dieser Körperlichkeit stehen, der Kern des Heilsweges des Buddho.

Ohne erkennendes Schauen der wahren Natur unserer Körperlichkeit (Persönlichkeit) und unseres wahren Verhältnisses zu ihr gibt es überhaupt keinen moralischen Fortschritt, also keine Charakteränderung im Sinne der Veredelung unseres dürstenden Wollens. Das steht so sicher fest, als nur die anschauliche Erkenntnis unseren Willen zu beeinflussen vermag ... Es ist also unmöglich, auch nur sittenrein zu werden, ohne das erkennende Schauen in der genannten Richtung zu pflegen. Deshalb darf auch der Laienanhänger des Buddho, der wenigstens sittenrein werden will, dieses erkennende Schauen nicht vernachlässigen, muß es, an geeigneter Stätte verweilend, täglich mindestens eine halbe bis eine Stunde lang pflegen. Das gilt in noch viel höherem Grade für jene Laienanhänger, die Höheres, insbesondere die Sotāpannaschaft, erstreben.

„Von Sittenreinheit umflossen ist die Weisheit, von Weisheit umflossen die Sittenreinheit: Wo Sittenreinheit ist, da ist auch Weisheit und wo Weisheit ist, da ist Sittenreinheit; wer sittenrein ist, der hat Weisheit und wer weise ist, der ist sittenrein.“ (Dīgh. 4, 21)

Die Grundlage jeder Persönlichkeit ist die körperliche Form. Sie ist am leichtesten als uns wesensfremd zu durchschauen. Ja, ihre Betrachtung mag, wenn man sich dabei nur klar bewußt ist, daß die weiteren vier Haftensgruppen Empfindung, Wahrnehmung, Gemütstätigkeiten und Erkennen, an die körperliche Form als an ihre Basis gebunden, durch sie bedingt sind, schon für sich allein und am leichtesten zur Loslösung von der ganzen Persönlichkeit führen.

„Wird ein Ding, Mönche, geübt und entfaltet, so geht das Körpergetriebe ruhig, unmerkbar vor sich, das Gemüt kommt zur Ruhe, Gedankengestöber und Grübeln legen sich, die zum Wissen führenden Dinge kommen zur vollen Entfaltung. Welches eine Ding? Der Einblick in den Körper."

„Wer, Mönche, nicht aus eigener Anschauung den Einblick in den Körper kennt, der kennt nicht aus eigener Anschauung die Unsterblichkeit. Nur wer aus eigener Anschauung den Einblick in den Körper kennt, kennt aus eigener Anschauung die Unsterblichkeit“ (Ang. 1, 21).

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Die in der täglichen Meditation durch die Pflege des konzentrierten erkennenden Schauens gewonnene Einsicht entwickelt sich nur langsam und allmählich. Dazu kommt, daß sie immer wieder alsbald verblaßt, wenn die Konzentration des Geistes nicht auch nach beendeter Meditation in der Form ständiger Besonnenheit fortgesetzt wird. Das bedeutet nicht weniger, als daß das auf die Buddha-Lehre konzentrierte Denken das ganze Leben durchfluten, jedes Tätigwerden begleiten muß, wenn das Ziel der allmählichen Vernichtung des dürstenden Wollens erreicht werden soll. Es muß, um es drastisch zu illustrieren, so selbstverständlich werden, wie das Essen und Trinken und Schlafen und, umgekehrt, muß einem die unbesonnene Hingabe an die immer wieder neu aufsteigenden Regungen des Durstes so unnatürlich werden wie ein verrenkter Arm oder ein verrenktes Bein.

„Diejenigen, deren Denken so erstarkt ist, daß es sich überhaupt nur mehr im Sinne von Gotamos Botschaft vollzieht, gewinnen den Kampfespreis: sie tauchen in die Ewigkeit unter und genießen die Seligkeit des Erloschenseins.“ (Su. 228)

Weil aber das erst die Frucht jahrelangen, ja durch Existenzen sich hinziehenden zähen Ringens ist, deshalb lehrt der Buddho in Anpassung an die bis dahin beschränkten Willens- und Geisteskräfte dieses Ziel in Stufen verwirklichen. Dabei erleichtert er das Erklimmen der einzelnen Stufen – auch darin zeigt sich wieder seine unvergleichliche Weisheit – dadurch, daß man seine ganze Willens- und Geisteskraft einzig und allein auf die Erreichung der jeweils als Ziel vorschwebenden Stufe konzentriert … Wer das nicht befolgt, sondern zugleich noch Höheres erreichen will, der erreicht wegen Zersplitterung seiner Kräfte überhaupt nichts.

„Wohlan, Mönch, sei sittenrein, halte dich in strenger Selbstzucht in den Schranken, mit denen die Vorschriften über Sittenreinheit dich umgeben, bleibe lauter im Handeln und Wandeln! Ringe um Sittenreinheit, auch in kleinen Übertretungen eine Gefahr erblickend!

Wenn nun der Hohe Jünger sittenrein geworden ist, dann weist ihm der Vollendete weiter den Weg. Wohlan, Mönch, hüte die Tore der Sinne! Siehst du mit dem Auge eine Gestalt, so hafte weder an der Gestalt im Ganzen, noch an Einzelheiten von ihr! Da Begier und Verdrießlichkeit, diese bösen, unheilsamen Dinge, gar bald den überwältigen, der unbewachten Auges verweilt, so befleißige dich dieser Bewachung, hüte das Auge, wache eifrig über das Auge!

„Hörst du mit dem Ohre einen Ton – riechst du mit der Nase einen Duft – schmeckst du mit der Zunge einen Saft – tastest du mit dem Körper (als Tastorgan) ein Objekt – denkst du mit dem Denken ein Ding, so hafte weder am Ganzen noch an Einzelheiten. Da Begierde und Verdrießlichkeit, diese bösen, unheilsamen Dinge, gar bald den überwältigen, der unbewachten Denkens verweilt, so befleißige dich dieser Bewachung, hüte das Denken, wache eifrig über das Denken!“ (Majjh. 125)

 

Man wacht also unaufhörlich über die Sinnentätigkeiten, damit dieselben nie in der Form des Anhaftens an den Sinnesobjekten, das ist also im Dienste des Durstes, vor sich gehen …

Zunächst wird man die wahre Natur der Sinnesobjekte nur wie im Nebel erkennen, gleichwie das ungeübte Auge die verschwommenen Konturen eines fernen, den Horizont abgrenzenden Gebirges noch kaum von Wolken unterscheiden kann. Entsprechend diesem Grad von Erkenntnis kann auch das Begehren nach den Sinnesobjekten nur in fortwährendem Kampfe unterdrückt werden, so daß das Hauptaugenmerk darauf zu richten ist, sich von ihnen nicht neuerdings bestechen und gefangen nehmen zu lassen …

Ist so der Hohe Jünger mit der Zeit ein strenger Wächter seiner Sinnestore geworden, auf daß sein Durst nach den durch die Objekte der Sinne ausgelösten Freuden keine Nahrung mehr finde und auf diese Weise mehr und mehr mangels Nahrung verkümmere, „dann“ – so fährt der Buddho fort – „weist ihm der Vollendete weiter den Weg: ‚Wohlan, Mönch, beim Essen wisse Maß zu halten, nimm’ auch die Nahrung gründlich besonnen ein, nicht um genußfähig zu bleiben, nicht um hübsch und schmuck zu werden, sondern nur um diesen Körper zu erhalten, zu fristen, um Schaden zu verhüten, um ein heiliges Leben führen zu können; so werde ich die frühere wohlige Geschmacksempfindung abtöten und eine neue nicht aufkommen lassen, und ich werde mein Leben auf makellose Weise erhalten und mich wohlbefinden‘.“ (Majjh.125)

Auf dieser Stufe richtet sich also der Kampf des Hohen Jüngers speziell gegen die Gier, die der Durst bei der Aneignung der Nahrung, also beim Essen annimmt, nachdem er im erkennenden Schauen der Meditation sich darüber klar geworden ist, daß sein Körper nichts weiter als einen aus Materie aufgebauten Mechanismus in organisierter Form darstellt, der überhaupt nur durch fortwährende Vernichtung fremden Lebens erhalten werden kann, so daß im Grunde schon diese Erhaltung unmoralisch ist. So beschränkt er sich auf die notdürftige Erhaltung dieses Körpers als der unerläßlichen Voraussetzung der allmählichen völligen Vernichtung alles Durstes überhaupt, indem er sich mit den anderen Worten des Meisters tröstet: „Durch Nahrung wird die Nahrung überwunden.“ Dabei schaltet er das Sündhafte jeder Nahrungsaufnahme, soweit nur immer möglich, aus.[2]

„Wenn so der Mönch beim Essen Maß zu halten weiß, dann – merke wohl: erst dann – weist ihm der Vollendete weiter den Weg: „Wohlan, Mönch, der Wachsamkeit weihe dich: Bei Tage sollst du gehend und sitzend das Denken von - (den noch vorhandenen) – trübenden Regungen säubern; in den ersten Stunden der Nacht gehend und sitzend das Denken von trübenden Regungen säubern; in den mittleren Stunden der Nacht magst du dich wie der Löwe auf die rechte Seite legen, einen Fuß über dem anderen, besonnen, klar bewußt, der Zeit des Aufstehens gedenkend; sollst in den letzten Stunden der Nacht, wieder aufgestanden, gehend und sitzend das Denken von trübenden Regungen säubern.“ (Majjh. 125)

Wenn nun so der Hohe Jünger auch über die trübenden Regungen zu wachen gelernt hat, dann zeigt ihm der Vollendete weiter den Weg: „Wohlan, Mönch, mit klarer Bewußtheit wappne dich: sei klar bewußt beim Kommen und Gehen, klar bewußt beim Hinblicken und Wegblicken, klar bewußt beim Neigen und Erheben, klar bewußt beim Tragen des Gewandes und der Almosenschale, klar bewußt beim Essen und Trinken, Kauen und Schmecken, klar bewußt beim Entleeren von Kot und Urin, klar bewußt beim Gehen und Stehen und Sitzen, beim Einschlafen und Erwachen, beim Sprechen und Schweigen.“ (Majjh. 125)

Mit dieser ständigen Vollbewußtheit, in deren Lichte sich nunmehr alles und jedes vollzieht, hat sich das auf die Verwirklichung der Hohen Lehre konzentrierte Denken in Form ununterbrochener Besonnenheit auf das ganze tägliche Leben ausgedehnt.

Freilich ist damit das große Endziel, „sein eigenes Nibbānam zu erkennen“[3] noch nicht verwirklicht. Es mag, wie Khemako seinen Mitbrüdern erklärte, „hinsichtlich der fünf Haftensgruppen ein noch nicht zum Verschwinden gebrachter schwacher Rest von Ich-bin-Dünkel, von Ich-bin-Wunsch, von der Neigung in der Form von ‚Ich-bin‘ zu denken“ – (statt nur mehr in der Form: ‚Das bin ich nicht‘). Deshalb verweilt der Hohe Jünger weiterhin in der Betrachtung des Entstehens und Vergehens der fünf Haftensgruppen …

Wann auf diese Weise der letzte Rest des Ich-bin-Dünkels wegschwindet, ob nach Monaten oder Jahren, gilt gleich. Aber einmal kommt der große Augenblick, wo die Wolken des Nichtwissens sich für den Hohen Jünger völlig zerteilen, der duftige Schleier, den sein Begehren um seine Persönlichkeit und ihre Welt wob, mit einem Ruck gänzlich entzwei reißt[4] und er die Natur dieser Persönlichkeit völlig durchschaut …  

Damit ist sein Auszug aus der Welt im Grunde auch schon vollzogen. Wenn er auch regelmäßig noch das vollständige Verwehen der Bestandteile seiner Persönlichkeit als des Produktes seines früheren Durstes abwarten wird, so steht er von nun ab dieser Persönlichkeit und in ihr der ganzen Welt in vollendeter Gleichgültigkeit, die ja nur die positive Seite der Vernichtung alles Durstes nach der Welt ist, gegenüber. Nichts geht ihn mehr etwas an, nicht einmal der Tod, der ja nur das vernichtet, was er nunmehr anschaulich als nicht zu sich gehörig und noch dazu als leidvoll erkennt …



[1] Sam. 35, 197.

[2] Das Sündhafte bei der Nahrungsaufnahme liegt darin, daß fremdes Leben vernichtet und damit Schmerz in der Welt verursacht wird. Da nun Tierleben höher steht und eine viel größere Schmerzempfindlichkeit besitzt als Pflanzenleben, so wird der gute Mensch auf keinen Fall, sei es direkt oder indirekt, Veranlassung geben, daß seiner Nahrung halber ein Tier getötet wird. In Konsequenz davon wird er auch das Fleisch keines Tieres essen, von dem er gesehen oder gehört hat oder vermutet, daß das Tier seinetwegen geschlachtet worden ist …

[3] Udānam 3, 5.

[4] Die höchste anschauliche Erkenntnis stellt sich blitzartig ein, so „wie nämlich, Mönche, ein Mensch in der Dunkelheit und Finsternis der Nacht beim plötzlichen Auftauchen des Blitzes mit seinen Augen die Gegenstände erkennen möchte.“ (Ang. 3, 25).

 

(G.Grimm, Die Lehre des Buddho, S. 335 ff.)